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grḥ psḥ.tw: Auf diesem Papyrus wird drei Mal die Nacht des Zubeißens/-stechens erwähnt: In Verso 3,4 grḥ n psḥ=f; in 4,1 grḥ n psḥ=f; in 5,1-2 grḥ psḥ.tw tꜣ ḥm.t-n-Ḥr.w. Ferner für Relevanz ist das grḥ qrs.tw Wsjr in Verso 5,3-4, im selben Satz, der in 5,1 beginnt. Auffällig ist Folgendes: (1) psḥ wird in den ersten beiden Malen im indirekten Genitiv angeschlossen; die letzten beiden Konstruktionen bilden einen direkten Genitiv, sofern das Genitiv-n nicht – beide Male! – durch den Zeilenumbruch nach grḥ vergessen worden wäre. (2) psḥ wird in den ersten beiden Fällen von einem Suffixpronomen gefolgt. Nach dem dritten psḥ steht ebenso wie nach dem qrs ein Nomen. (3) Zwischen den ersten beiden psḥ und dem Suffixpronomen steht nichts; zwischen dem psḥ und qrs und dem Nomen steht tw. (4) Bei dem zweiten und dritten psḥ steht im Raum über dem klassifizierenden Zahn ein hieratischer Punkt, über dem ersten nicht. Nicht auffällig ist dagegen: (5) grḥ ist in allen Fällen mit einer t-Endung geschrieben, was aber im Neuägyptischen oft vorkommt.
Semantisch enthält das Verb in den ersten beiden Fällen und im letzten Fall eine passivische Aussage: Das auf das Verb folgende Pronomen bzw. Nomen wird gebissen bzw. wird begraben. Daher wird in den ersten beiden Fällen ein Genitiv mit Infinitiv als Nomen rectum vorliegen (GEG, § 305) und im letzten Fall ein Genitiv mit einem passiven sḏm.tw=f als Nomen rectum (GEG, § 191.1). (Der hieratische Punkt über dem Zahn wird beide Male nur ein Füllpunkt sein und kein t, wie es Roccati in 4,1 transliteriert.) Es stellt sich aber die Frage, wie das psḥ(.)tw tꜣ ḥm.t-Ḥr.w von Zeile 5,2 zu verstehen ist. Die Parallelität mit den anderen Fällen suggeriert auch hier eine passivische Aussage: die Frau des Horus wird gebissen. Wie diese Aussage in den Kontext einzubinden ist, bliebe zu klären. Die Alternative wäre eine aktivische Aussage, in der das tw kein Passivinfix, sondern enklitisches Personalpronomen ist. Dann wäre psḥ kein passives sḏm.tw=f mit nominalem Subjekt, parallel zu qrs.tw Wsjr, sondern ein aktives sḏm=f mit nominalem Subjekt und vorangerückten, weil enklitischem, Objekt. Diese Interpretation wäre inhaltlich logischer, weil dann die Frau des Horus als Skorpion den Patienten sticht. Unerwartet wäre dagegen die direkte Anrede des Patienten. -
grḥ qrs.tw Wsjr: Die Zeitangabe kann sich syntaktisch eigentlich fast nur auf den letzten Satz beziehen: „ich werde nicht zulassen, dass man Fladenbrot herstellt, ich werde nicht zulassen, dass ds-Krüge (scil.: mit Bier) gebraut werden für die 365 Götter, die die Nacht hungrig verbringen und den Tag hungrig verbringen.“ Das Problem ist nur, dass dies satzsemantisch zu keinem befriedigenden Ergebnis führt. Zur Option steht
(a) ein Bezug auf den Hauptsatz: „Ich werde in der Nacht, da Osiris bestattet wird, nicht zulassen, dass ...“;
(b) ein Bezug zum Objektsatz: „Ich werde nicht zulassen, dass in der Nacht, da Osiris bestattet wurde, Bier gebraut wird ...“;
(c) ein Bezug zum Relativsatz: „Ich werde nicht zulassen, dass für die Götter, die in der Nacht, da Osiris bestattet wurde, tags und nachts hungern.“
Die Optionen (a) und (b), die beide letztlich auf dieselbe Aussage hinauslaufen, sind eher unwahrscheinlich, denn das Brauen von Bier und demzufolge auch ein Verbot des Brauens von Bier sind Prozesse, die kaum nachts stattfinden. Doch auch Option (c) scheint textlogisch auszuscheiden. Denn wie können die Götter in einer konkreten Nacht „tags und nachts“ hungern? Eine Lösung wäre entweder die Annahme, dass grḥ qrs.tw Wsjr eine Festbezeichnung ist, die auch den lichten Tag einschließt, oder dass wršu̯ und sḏr nicht „den Tag zubringen“ bzw. „die Nacht zubringen“ heißt, sondern „wach sein“ und „schlafen/daliegen“. Ersteres würde es tatsächlich ermöglichen, den Tag und die Nacht (scil.: des Festes) hungrig zuzubringen. Letzteres wäre ebenfalls möglich, weil man natürlich in einer Nacht wach sein (v.a., wenn man hungrig ist) und schlafen kann. Jedoch ist eine Festbezeichnung grḥ qrs.tw Wsjr bislang nicht belegt, und bei wršu̯ scheint den Belegen zufolge doch die Nuance „den Tag zubringen“ vorzuliegen, v.a. wenn es mit sḏr kombiniert wird.
Aus diesem Grund wurde in einer früheren Version dieser Bearbeitung (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBkCSNHIzUQvNkIile0n4AIpNJs, Korpus-Ausgabe 17, Web-App-Version 2.1.0, 13.10.2023) vorgeschlagen, die Temporalangabe auf die gesamte Götterdrohung zu beziehen (angezweifelt von J.F. Quack, E-Mail vom 06.06.2023) und sie so zu interpretieren, dass diese damit zusätzliches Gewicht erhalten haben könnte, weil gedroht würde, die kosmische Ordnung just in einer so wichtigen Nacht zu beenden: „Ich werde in der Nacht, in der Osiris bestattet wurde, die Überschwemmung nicht über den Uferdamm fließen lassen, ich werde die Sonne nicht über dem Erdboden aufgehen lassen, ich werde die Saat nicht aufgehen lassen, ich werde nicht zulassen, dass man Fladenbrot herstellt, ich werde nicht zulassen, dass ds-Krüge (scil.: mit Bier) gebraut werden für die 365 Götter, die die Nacht hungrig verbringen und den Tag hungrig verbringen.“
Als letzte Option könnte vielleicht erwogen werden, in grḥ qrs.tw Wsjr gar keine Temporalangabe zum vorangegangenen Satz zu sehen, sondern eine syntaktisch neue Einheit, vielleicht als eingliedriger Nominalsatz aufzufassen, die sozusagen die Folge der Götterdrohung beschreibt: „(scil.: Wie?) die Nacht, da Osiris bestattet wird, (ist es)“. Die Bestattung des Osiris markiert das Ende einer Periode und eine Zeit, in der prinzipiell die kosmische Ordnung bedroht ist. Erst am Folgetag wird diese Bedrohung mit der Krönung des Horus und der Bestätigung des Erbes (smn jwꜥ.t) beendet. Bis dahin, d.h. bis zur Krönung des Horus, dauert das Interregnum des Seth an, vgl. dazu etwa Leitz, Tagewählerei, 62-63, 170-172, 232-234. Der Kalendertag IV. Achet 19, an dem im pJumilhac die Bestattung des Osiris beginnt, ist in den ramessidischen Tagewählkalendern als „gefährlich“ (ꜥḥꜣ) bzw. „ungewiss“ (ꜥḥꜥ) markiert, Leitz, a.a.O., 170; vergleichbar der Tag II. Peret 6, an dem laut denselben Tagewählkalendern der Djed-Pfeiler aufgerichtet wird, was für die endgültige Bestattung des Osiris steht, vgl. Leitz, a.a.O., 62 mit 232. -
ꜥtḫ, das „Auspressen“ oder „Durchseihen“ der Maische, steht hier für den Prozess des Bierbrauens, so wie ds, der Bierkrug, für den Inhalt, das Bier steht. Da beide Begriffe, ꜥtḫ und ds, zusammen keine idiomatische Wendung wiedergeben, liegt eine doppelte Synekdoche vor: Pars pro toto („auspressen“ für „brauen“) und Behälter für Inhalt.
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Bitte zitieren als:
(Vollzitation)Lutz Popko, unter Mitarbeit von Altägyptisches Wörterbuch, Florence Langermann, Daniel A. Werning, Token ID IBkCSBh9vEyXl0X8jjgqeoqGEKA <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/token/IBkCSBh9vEyXl0X8jjgqeoqGEKA>, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Korpus-Ausgabe 19, Web-App-Version 2.2.0, 5.11.2024, hrsg. von Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Zugriff am: xx.xx.20xx)(Kurzzitation)
https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/token/IBkCSBh9vEyXl0X8jjgqeoqGEKA, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: xx.xx.20xx)
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