rʾ(Lemma ID 92640)
Hieroglyphic spelling: 𓂋𓏤𓅬
Persistent ID:
92640
Persistent URL:
https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/92640
Lemma list: Hieroglyphic/hieratic
Word class: common noun (masc.)
Translation
Gans (allg.); Graugans
goose (gen.)
oie
Attestation in the TLA text corpus
163
Attestation time frame in the TLA text corpus:
from
2800
BCE
to
200
CE
Bibliography
-
Wb 2, 393.1-6
- LÄ II, 504
External references
Comments
Please cite as:
(Full citation)"rʾ" (Lemma ID 92640) <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/92640>, edited by Altägyptisches Wörterbuch, with contributions by Simon D. Schweitzer, Lisa Seelau, Peter Dils, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Corpus issue 18, Web app version 2.1.5, 7/26/2023, ed. by Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning on behalf of the Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften and Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils on behalf of the Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (accessed: xx.xx.20xx)(Short citation)
https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/92640, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (accessed: xx.xx.20xx)
rʾ: Wahrscheinlich Graugans (Anser anser L.) oder Saatgans (Anser fabalis Lath.). Die rʾ-Gans ist ein Vogel, der aufgrund von Darstellungen in Mastabas des Alten Reiches zu den Gänsen und Enten gehört, genauer gesagt wegen der Proportionsgröße der verschiedenen Vögel mit Sicherheit eine Gans. Schon der Ornithologe Paolo Savi hatte Rosellini die Identifikation als eine Art von Anser vorgeschlagen (Rosellini, Monumenti Civili, Tf. 12, Nr. 1 und Kommentar zur Tafel in: Monumenti dell' Egitto e della Nubia, II, Monumenti Civili, Tomo I, Pisa 1834, 183; für Paolo Savi s. S. 171, Anm. 2, und 173). Weil die Farbgebung von Fiederkleid, Schnabel und Beine anscheinend in kaum einer Darstellung mit Namensbeischrift erhalten (oder publiziert!) ist, ist keine eindeutige ornithologische Bestimmung möglich. Berücksichtigt man aber, dass die rʾ-Gans häufig die Geflügelliste anführt und die an zweiter Stelle befindliche ṯrp-Gans sicher als Anser albifrons (Blässgans, Greater white-fronted goose, Oie rieuse) identifiziert worden ist, wird angenommen, dass die rʾ-Gans eine noch größere Gans ist. Dafür kommen dann nur noch Anser anser (Graugans, Greylag goose, oie cendrée) und Anser fabalis (Saatgans, Bean goose, oie fève / oie des moissons) infrage. Die wichtigste, farblich detaillierte, ikonographische Quelle ist die berühmte Gänsemalerei von Meidum, allerdings ist umstritten, welche von beiden, Anser anser oder Anser fabalis, dargestellt ist, außerdem fehlt hier der altägyptische Name. Die Hypothese rʾ-Gans = Anser anser findet sich zuerst bei Loret, in: Lortet/Gaillard, La faune momifiée de l'ancienne Égypte, Lyon 1905, x-xi (l'oie cendrée ou l'oie sauvage), der die Saatgans allerdings nicht erwähnt und sogar warnt "ce n'est là qu'une hypothèse, car le rou peut ne pas appartenir au genre Anser". Montet, Scènes de la vie privée, 143 übernimmt von Loret: "oie cendrée"; ähnlich Kuentz, L'Oie du Nil, 39, Anm. 2: "Le Ro est l'Oie cendrée, Anser cinereus (communication de M. V. Loret)". Schäfer, in: Wreszinski, Atlas III, 172 zu Tf. 83.B, der sich auf die Expertise des Zoologen Max Hilzheimer berufen konnte (s. Vorwort), nennt die rʾ-Gans in der Mastaba des Ma-nefer aus Saqqara (heute Berlin) eine "Graugans, Anser anser" und beschreibt sie als "Langhalsig, schwer und langbeinig". Edel, in: BiOr 21, 1964, 32 verweist ebenso auf Hilzheimer für die Identifikation von rʾ-Gans als Graugans. Vandier, Manuel d'archéologie égyptienne, V, 403 folgt Schäfer und Montet. Boessneck, Zur Gänsehaltung im alten Ägypten, in: Festschrift der Wiener Tierärztlichen Monatsschrift Herrn Professor Dr. Josef Schreiber zum 70. Geburtstag gewidmet, Wien 1960, 192-206 hat die verschiedenen Bezeichnungen untersucht (S. 194-196). Er vergleicht die Färbung von Graugans und Saatgans und meint, dass das beste Unterscheidungsmerkmal "die schwärzliche Zeichnung am Schnabel der Saatgans im Vergleich mit der hellen Schnabelfärbung der Graugans" ist (Boessneck, Die Tierwelt des Alten Ägypten, München 1988, 102 spricht von "schwärzliche(n) Flecken auf dem Schnabel"). Für ihn sind die rʾ-Gans und die śr-Gans (gemeint: srw/śrw), die beide an erster Stelle in den Geflügeldefilees dargestellt werden können, aber dort niemals beide gemeinsam vorkommen, Bezeichnungen für dieselbe Gänseart. Der helle Schnabel der śr(w)-Gans in der Mastaba des Kꜣ(=j)-m-ꜥnḫ/Kaiemanch (Giza G4561: Junker, Giza IV, 1940, Tf. 7 zwischen S. 64 und 65 = Davies, in: JEA 32, 1946, Frontispiz) sowie in der Mastaba des Nefer (Giza G4761: Junker, Giza VI, 64 und Tf. 2.e) und der helle Schnabel der rʾ-Gans in der Mastaba des Kꜣ(=j)-ḥ(w)j=f in Giza (Giza G2136, 6. Dyn.: Junker, Giza VI, 1943, 128 und Tf. 11; hier fehlt allerdings der diagnostische weiße Streifen der Blässgans am Schnabelansatz des ebenfalls dargestellten ṯrp-Gans, so dass die Abbildung nicht ganz zuverlässig wirkt) sprechen laut Boessneck für eine Identifikation als Graugans und nicht als Saatgans. Boessneck, Die Tierwelt des Alten Ägypten, München 1988, 89 und 101 schreibt, dass die Graugans (Anser anser) altägyptisch anfänglich śr und später rʾ genannt wird (gemeint ist die srw/śrw-Gans und die Sachlage könnte genau umgekehrt sein). Die "weiße rʾ-Gans" genannte Art (rʾ ḥḏ) muß laut Boessneck (Tierwelt, 89) domestiziert sein, weil sie in zu großen Stückzahlen genannt wird, um zufällig wild gefangen worden zu sein. Da die Domestikation der Gans mit der Graugans angefangen hat, wäre dies ein zusätzlicher Indiz, um in der rʾ-Gans eine Graugans zu erkennen. Für Mahmoud, Die wirtschaftliche Bedeutung der Vögel im Alten Reich, 1991, 47-52 sind die rʾ-Gans und die śr-Gans dieselbe Gänseart, nämlich die Graugans Anser anser. Graindorge, in: JEA 82, 1996, 86 und 87 schreibt, dass die Identifikation der rʾ-Gans als Anser anser sicher ist und das die sr-Gans "peut-être" ebenso Anser anser ist.
In der neuesten Forschung wird zwischen sr(w)-Gans und rʾ-Gans unterschieden. Es sollen nicht zwei verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Gänseart, sondern zwei verschiedene, sich sehr ähnelnde Arten sein. Somit kommt wieder die Unterscheidung zwischen Graugans und Saatgans ins Spiel. Boessneck, Die Tierwelt des Alten Ägypten, München 1988, 102 akzeptiert zwar Anser fabalis als Wintergast in Ägypten, hat aber große Schwierigkeiten, eine Anser fabalis in den Wandbildern zu erkennen. Er lehnt die Identifikation von Anser fabalis bei den Meidum-Gänsen ab (contra Moreau, Houlihan; Begründung: Tierwelt, 161, Anm. 4), vermutet aber, dass die Saatgans an dritter Stelle in der Mastaba des Ptahhotep in Saqqara abgebildet sein könnte (ohne beigeschriebenem Namen!), mit der Stückzahl 11110 (Boessneck, Gänsehaltung, 198-199; Boessneck, Tierwelt, 102 und Abb. 176; Abb. bei Wreszinski, Atlas III, 17 und Davies, Mastaba of Ptahhetep and Akhethetep, I, Tf. 27). Sehr wichtig ist das Tebtynis-Onomasticon pCarlsberg 180.9+PSI I 76a, in dem in Fragm. O 2.16 der Schnabel (sp.tj) der rʾ-Gans vielleicht als schwarz beschrieben wird ([km]: nur das Haardeterminativ ist erhalten, aber vergleiche die Schreibung von km in Fragm. P2; vgl. auch Fragm. P 2.4 für eine mögliche weitere Textstelle mit dem rʾ-Vogel). Ein Schnabel mit schwarzen Flecken wäre dann ein Hinweis für Anser fabalis. Osing, Hieratische Papyri aus Tebtynis I, 1998, 126 Anm. (a) meint, dass die rʾ-Gans und die srw-Gans "nicht unbedingt synonym" sind, aber "einander in Größe und Aussehen doch zumindest sehr ähnlich gewesen sein (dürften). Dies könnte für das Verhältnis der Graugans zur Saatgans (Anser fabalis) zutreffen, die nur wenig kleiner ist und sich vor allem dadurch zu erkennen gibt, daß sie dunkler gefärbt ist und einen orangefarbenen Schnabel hat, der 'gewöhnlich schwärzliche Flechen' aufweist, während der Schnabel der Graugans rosa ist." Osing vermerkt auch, dass nicht genauer identifizierte Gänseknochen in dem gänseförmigen Kasten Nr. NN mit der Aufschrift r(ʾ) im Grab von Tutanchamun gefunden worden sind (Černý, Hieratic Inscriptions from the Tomb of Tutꜥankhamūn, 18, Nr. 87), außerdem Knochen von zwei Anser fabalis in Schacht KV 54 mit Balsamierungsmaterial von Tutanchamun (Winlock, Materials Used in the Embalming of King Tūt-ꜥankh-Amūn [MMA Papers 10], New York 1941, 17). Osing übersetzt rʾ-Gans deshalb als "Saatgans (?)". Das Fragezeichen verschwindet bei späteren Autoren. So steht bei Vernus & Yoyotte, Bestiaire des Pharaons, 2005, 89 und 398: "l'oie fève ou oie des moissons (Anser fabalis), en égyptien probablement ra (rꜣ)". Tacke, Opferritual, OLA 222, Bd. II, übersetzt entsprechend mit "rꜣ-Saatgans. Auch Thuault, in: CdE 92/184, 2017, 238-243 übernimmt die Deutung von rʾ-Gans als Anser fabalis. Laut Wilson, Ptol. Lex., 573-574 wird das Substantiv rʾ in der Ptolemäerzeit zu einem Begriff für "Wasservögel": "Though in the Old Kingdom rꜣ may have referred to a particular species of water bird or goose, by Ptolemaic times the term is generic for water fowl and possibly a collective term." Allerdings ist das Nomen rʾ-Gans noch demotisch als rʾ (siehe Demotische Textdatenbank; Erichsen, Glossar, 241 zweifelt zwischen den Lesungen rꜣ und jpt [< ꜣpdw]; Spiegelberg, Der aegyptische Mythus vom Sonnenauge, 1917, 189, Nr. 459) und koptisch als ⲣⲟ (Crum, CD, 290a: selten; nicht in den Scalae) überliefert. Nicht weiter erwähnenswert ist, dass der Architekt und Naturforscher Boussac eine Gans mit der Beischrift rʾ aufgrund der Silhouette (!) eine "bernache" (Anser leucopsis Béchst) nennt (L'oie dans l'Égypte ancienne, in: La Nature 35/2, 1907, 313-314: http://cnum.cnam.fr/CGI/fpage.cgi?4KY28.72/317/100/671/5/660). Meint er Leucopareia leucopsis, Bechstein, oder Branta leucopsis, Bechstein, d.h. die Weißwangengans oder Nonnengans, die als Wintergäste (Zugvögel) in Ägypten belegt sind?
P. Dils (Artikel verfasst im Okt. 2018)
Commentary author: Peter Dils; with contributions by: Strukturen und Transformationen; Data file created: 12/18/2018, latest revision: 03/12/2019